28.12.2015
Welt am Sonntag
Pressestimmen
Naturweine und sogenannte Orange-Wines sind der letzte Schrei der Weinwelt, die genau wie die Kulinarik seit einigen Jahren den Moden unterliegt. Meine skeptische Einstellung zu Orange- und Naturweinen ist kein Geheimnis. Ich trompete meine Ansicht, es handle sich hier meist um untrinkbares Zeug, bei jeder Gelegenheit heraus, als gelte es, die Mauern von Jericho zum Einsturz zu bringen.
Aber ich sollte das Trompeten sein lassen. Denn in den vergangenen Monaten hat sich in der Naturweinszene viel verändert. Nicht etwa, weil meine Trompeten die Mauern des Naturwein-Jericho zum Einsturz gebracht hätten. Sondern weil viele renommierte Winzer, die seit Jahren schon biodynamisch arbeiten, dieses Jahr einen Naturwein gekeltert haben.
Eines dieser Weingüter ist das Weingut Balthasar Ress aus dem Rheingau. Dessen Eigentümer Christian Ress hat vor Jahren den Weinmacher Dirk Würtz in seinen Betrieb geholt, ein umtriebiger Speedy Gonzales, der als Blogger in der Weinszene bekannt ist wie ein bunter Hund. Dennoch ist Würtz ein ernsthafter, penibel genauer Kellermeister, der Moden auffängt und sie durch seine Fleischmaschine faschiert, bis etwas dabei rauskommt, mit dem keiner gerechnet hat. Außer er selbst.
Das Ress-Würtz-Zitat heißt "18" und ist ein Riesling, der 18 Monate auf der Vollhefe gelegen hat. Er vergärte spontan, also ohne Hilfe von Zucht- oder gar Aromahefen, und wurde ohne Schönen und Filtern in die Flasche gebracht. Ein echter und tatsächlich ehrlicher Naturwein, der eben nicht schmeckt wie eine in Verwesung begriffene Gemüsebrühe.
In der Nase Mandeln, junge Walnüsse, Pfirsich, stärker noch Birne und Quitte, etwas Kokos, dann etwas Gelbwurz, Schachtelhalm, auch gelbe Paprika und ein bisschen Bratensaft – der kommt von der Spontanvergärung. Im Mund sehr mollig, sehr rustikal, dahinter aber die Eleganz eines großen Rieslings. So einen Wein kriegt nur einer hin, der Wein kann. Egal, welche Sau gerade durchs Dorf getrieben wird.
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