18.07.2011

WirtschaftsWoche "Adieu, mon mour!"

Pressestimmen

Frankreichs Außenminister und Bürgermeister von Bordeaux, Alain Juppe, war angereist und verteidigte die Winzer. Bei einem Rundgang auf der Weinmesse Vinexpo Ende Juni in Bordeaux sah Juppe keinen Grund zur Aufregung angesichts der jüngsten Preiserhöhungen der Châteaux im berühmtesten Weinanbaugebiet der Welt. „Der Markt entscheidet über den Preis“, sagte Juppe dem US-Weinmagazin „Decanter“. Und die Weine seien ihren Preis wert.

Juppés Landsmann Vincent Moissonnier hingegen sieht den Wert nicht mehr. „Adieu, mon amour“ steht auf einer Seite der Weinkarte seines mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants in Köln. In emotionalen Worten schreibt er seinen Gästen, dass der Markt für Bordeaux-Weine aus den Fugen geraten sei. Von dieser Entwicklung wolle er nicht länger profitieren und habe sich deshalb entschlossen, diese nicht mehr anzubieten.

Die Enttäuschung von Moissonnier und vielen seiner Kollegen haben sich die Bordeaux-Winzer dieses Jahr durch spektakuläre Preiserhöhungen zugezogen. Kaum ein Weingut von Rang, das nicht mindestens zehn Prozent mehr als vergangenes Jahr für den Wein verlangte, in der Spitze bis zu 80 Prozent. Die teuersten unter den Teuren wie ein Château Petrus kosten den Kunden inzwischen bis zu 2700 Euro - pro Flasche. Durch die Produktionskosten lassen sich solche Preise nicht erklären.

„Die Premiers Crus aus den wichtigsten Châteaux sind auch Investitionsobjekte“, sagt Valentin Brodbecker, Finanzberater und Autor des Buches „Wein als Investment“. Wer vor zehn Jahren zum Beispiel eine Kiste mit zwölf Flaschen Château Lafite-Rothschild für rund 2600 Pfund kaufte, konnte sie zehn Jahre später für rund 25 000 Pfund verkaufen.

Das ist der Grund, warum die Blue Chips unter den Châteaux wie Latour, Ausone oder Petrus derzeit schneller vom Markt aufgesogen werden, als eine Flasche vor dem Ausschenken zum Atmen braucht. In knapp 30 Minuten war das Angebot des Weinguts Le Pin ausverkauft, trotz eines Preises von 1300 Euro pro Flasche. Die teuersten Weine werden ihren Wert in den kommenden Jahren mindestens behalten, vermutlich weiter steigern. „Bordeaux ist Business und weniger Terroir“, sagt Romana Echensperger, ehemalige Sommeliere und heutige Geschäftsführerin ihres Beratungsunternehmens Rootstock.

Es ist ein People-Business: Jedes Jahr im April öffnen die Spitzenweingüter einer Schar von Weinjournalisten und Zwischenhändlern, den sogenannten Negociants, die Keller. Dann dürfen sie die Weine, die noch in Fässern ruhen und erst zwei Jahre später ausgeliefert werden, schon einmal probieren und bewerten. Journalisten veröffentlichen ihre Bewertungen in einschlägigen Magazinen. Anschließend verkünden die Weingüter zu welchem Preis sie ihre Weine an die Negociants abgeben. „Diese Verkostungen sind ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und Teil des Marketings“, sagt Echensperger.

Der asiatische Markt verfällt dem und treibt die Preise. Die Nachfrage sei so hoch, dass derzeit „jeder Preis akzeptiert wird“, sagt Brodbecker. „Derzeit gibt es Kunden, die Bordeaux bestellen, weil sie selber auf die steigende Nachfrage aus Asien hoffen“, sagt Ulrike Treptow vom Weinhandel Millesima. Bei den Auktionen des Jahres 2010 sei gut die Hälfte der Zuschläge an Bieter aus Hongkong gegangen, weiß Echensperger.

Ein einfaches Klassifizierungssystem hilft, dass die Nachfrage nach Bordeaux-Weinen größer ist als die nach anderen Spitzenweinen etwa aus dem Burgund oder Kalifornien: 1855 wurde auf Basis der Verkaufspreise festgelegt, welche Weingüter im Bordeaux als Premier Cru gelten. Nur 1973 wurde ein Weingut vom zweiten Rang in den höchsten Adelsstand „Premier Grand Cru“ erhoben: Château Mouton-Rothschild.

Seit dieser Zeit klingen Namen wie Lafite-Rothschild, Margaux oder Ausone wie Donnerhall in der Weinwelt. „Alles, was ein Interessent wissen muss, ist der Name des Château und der Jahrgang - dann kann er nachlesen, wie der Wein bewertet wird“, sagt Hendrik Thoma, Sommelier und Betreiber des Weinhandels Tvino.de.

Viele Weinkonsumenten wie -investoren orientieren sich dabei vor allem an den sogenannten Parker-Punkten. Was die Ratings von Moody's oder Standard & Poor's für Staaten oder Banken sind, bedeuten die Bewertungen des Herausgebers des Weinmagazins „The Wine-Advocate“ für die Preise und die Umsätze eines Weinguts. Bis zu 100 Punkte vergibt Parker. Und in den vergangenen Jahren erhielten immer mehr Weingüter immer mehr Punkte. Das liegt zum einen am Klimawandel, zum anderen an der Vinffikation, die sich seit Mitte der Neunzigerjahre im Bordeaux veränderte. Der Trend ging weg von leichteren, langsam reifenderen Weinen hin zu fruchtigeren, alkoholschwereren Tropfen - das Bordeaux hat sich an Parkers Geschmack angepasst. Wirtschaftlich ein Erfolg. Weine mit 99 oder 10O von 100 Punkten gelten als sehr risikoarme Investition. 

Ungemach droht den Winzern paradoxerweise durch die steigende Qualität der Trauben, die teilweise bei zu hoher Feuchtigkeit mit dem von Hubschraubern erzeugten Luftstrom getrocknet werden. Denn wenn immer mehr Jahrgänge als herausragend bewertet werden, sinkt das Interesse der Käufer an den großen Jahrgängen. Die Weingüter verknappen deshalb ihr Produkt künstlich. Nur wenige Weingüter verkaufen ihre gesamten Vorräte noch auf einen Schlag. Viele nutzen die erste Tranche um den Markt anzutesten. Die Winzer wollen sich gegen Überraschungen absichern wie 2005: Damals wurden die Weine schon zwei Tage nach Bekanntgabe der Château-Preise von Händlern in aller Welt für das Mehrfache des Einkaufspreises angeboten.

Das größere Risiko eines Wertverlustes trägt allerdings der Käufer: Wird ein Wein über Jahre hinweg schlecht gelagert, verliert er dramatisch an Qualität. Aufkäufer alter Flaschen wie der Stoiberger Weinhändler Karl Dörfler achten deshalb auf möglichst lückenlose Historie der Flasche. „Wir begutachten die Keller und verfolgen auch, wann und wo der Wein gehandelt wurde“, sagt Dörfler. Dienstleister wie Octavian Vaults in England, Deep Water Bay in Hongkong und seit 2009 Bordeaux City Bond in Bordeaux bieten Investoren fachgerechte Lagerräume an. Auch in Deutschland bietet ein Weingut im Rheingau unter dem Namen Winebank Mietflächen im Gewölbe an. Mit Zertifikaten über die Lagerung in solchen Depots können die Verkäufer bei Händlern wie Dörfler, die Sammlungen und auch Einzelnaschen aufkaufen, die Qualität der Lagerung belegen. Auch über Auktionshäuser wie Ebay werden Einzelflaschen veräußert. Ob der Wein noch trinkbar ist oder vielleicht eine Fälschung, kann der Käufer bei diesen Internet-Angeboten nur vermuten.

Eine Garantie für stetig steigende Bordeaux-Preise gibt es ohnehin nicht. Dafür mehren sich die Hinweise auf eine bevorstehende Trendwende: Weinhändler Berry Bros. & Rudd konnte von der gehobenen Mittelklasse der Grands Crus im ersten Halbjahr 2011 deutlich weniger absetzen als noch im Jahr zuvor. Weinexperte Simon Staples erwartet dennoch kein baldiges Platzen der Blase: „Die großen Châteaux können verlangen, was sie wollen. Wenn die alten Kunden es nicht mehr kaufen, dann gibt es genügend neue.“

Die neugewonnene Klientel in Asien wiederum lernt die Qualität immer mehr zu würdigen. Robert Parker schätzt aber dennoch, „dass das meiste getrunken wird, bevor es seine Höhe erreicht hat“. Das ist gut für Anleger, denn jede geöffnete

Flasche eines Ausnahmeweins ist eine weniger auf dem Markt. Aber auch die Gäste von Vincent Moissonnier müssen nicht Verzicht üben, für Liebhaber hat er aus früheren Einkäufen noch einen Bestand: „Das ist mein Bordeaux-Tresor.“